Leben mit Morbus Crohn

„Ein glückliches Leben mit CED ist möglich“, erzählt Eva Maria Tappe, Betroffene von Morbus Crohn, im Interview mit Bauchmoment.

Schätzungen zufolge leiden bis zu 470.000 Menschen in Deutschland an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) – Tendenz steigend.  Eine von ihnen ist Eva Maria Tappe.

Schätzungen zufolge leiden bis zu 470.000 Menschen in Deutschland an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) – Tendenz steigend. Betroffene fühlen sich häufig stark in ihrem Leben stark eingeschränkt. Der Grund: CED gehen einher mit Symptomen wie Bauchschmerzen, Durchfällen, Übelkeit, aber auch Fieber, Gewichtsverlust und Erbrechen, die schubweise auftreten. Außerdem ist es häufig ein langer Weg zur Diagnose. Diese erhielt Eva Maria Tappe im Jahr 2012. Nach einem langen Leidensweg hat sie es sich zum Ziel gemacht, trotz chronischer Erkrankung ein glückliches Leben zu führen – und anderen Betroffenen zu helfen. Im Interview mit Bauchmoment spricht die Gründerin von CHRONISCH GLÜCKLICH e.V. über ihren persönlichen Weg, ihr Leben mit Morbus Crohn und macht Betroffenen Mut.

Frau Tappe, Sie leben mit der Diagnose Morbus Crohn. Wie machte sich die Erkrankung zunächst bei Ihnen bemerkbar?

Im jungen Erwachsenenalter hatte ich immer wieder mit ersten Symptomen zu kämpfen, welche sich während meines Studiums verstärkten. Hierzu zählten immer wiederkehrende Schmerzen, plötzlich auftretende Durchfälle, Erbrechen und Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Ein wahrer Ärztemarathon mit teils absurden Diagnosen über sieben Jahre folgte. Mehrfach stellte ich die Ernährung um, suchte bei starken Schmerzen notfallmäßig den Arzt oder das Krankenhaus auf. Doch niemand konnte mir wirklich helfen. 

Wie gingen Sie damit um, dass Sie keine Hilfe fanden?

Es war eine schwierige Zeit. Ich fühlte mich nicht ernst genommen, ratlos und verunsichert. Immer wieder hörte ich, dass bestimmt Stress die Ursache ist. Irgendwann fing ich selbst an zu glauben, dass das alles nur mein „Kopf“ ist. 

Was war der Wendepunkt, wann erfuhren Sie, dass Ihre Symptome nicht lediglich „Kopfsache“ sind?

Der war ein Tag im Jahr 2012, an dem gar nichts mehr ging. Nach 3 Tagen, die ich fast nur auf der Toilette verbrachte und mich völlig entkräfteten, nahmen mich meine Eltern verzweifelt mit zu ihrem Arzt. Und auf einmal, nachdem ich jahrelang im Dunkeln getappt war, äußerte dieser die Verdachtsdiagnose CED, welche sich durch eine in den nächsten Tagen durchgeführte Koloskopie bestätigte. 

Wie ging es nach der Diagnose CED für Sie weiter?

Zunächst einmal war ich erleichtert, dass der Übeltäter endlich einen Namen hatte und ich wusste: Ich bin nicht verrückt. Doch dann zermarterte ich mir den Kopf: Was genau ist denn eine CED, was bedeutet das für mich persönlich? Was kann ich tun? Wo bekomme ich Informationen her? Außerdem kämpfte ich mit meinem schlechten Gewissen, denn auch mein Umfeld belastete es, zu sehen, wie schlecht es mir ging. Freundschaften zerbrachen, weil das Verständnis für meine Erkrankung fehlte. Hinzu kamen Zukunftsängste, Schmerzen und sogar Angst vorm Essen. Und über allem schwebte die Frage: Bleibt das jetzt für immer so? Das konnte und wollte ich nicht akzeptieren.

Was bedeutet das konkret?

Ich bin ein sehr zielstrebiger Mensch. Und ich dachte, wenn ich erfolgreich wäre, wäre ich auch glücklich. Deshalb machte ich einen Plan: nämlich so weiterzumachen wie bisher, mein Studium beenden, die Karriereleiter erklimmen, dann in ruhigere Gewässer wechseln und offen für die Familienplanung sein. Voller Tatendrang und Hoffnung trat ich im neuen Jahr dann endlich meinen Job als IT-Beraterin an.

Sie taten also so, als ob es die Krankheit und Ihre Diagnose gar nicht gäbe?

Genau. Ich gab mein Bestes, wollte stark sein – ungeachtet mehrerer Schwächeanfälle, starker Schmerzen und Durchfälle. Bis meine Schmerzen so schlimm wurden, dass ich mich krankmelden musste. Da realisierte ich, dass ich mich mit meiner Erkrankung auseinandersetzen muss, dass es nicht funktioniert, sie einfach zu verdrängen und, dass dies obendrein auch noch gefährlich ist.

Und dann stellten Sie Ihr Leben um?

Nicht direkt. Zunächst einmal versuchte ich, die Erkrankung anzunehmen und zu akzeptieren. Ganz schön schwierig für so einen überambitionierten und ehrgeizigen Menschen wie mich. Doch ich sprang über meinen Schatten, spielte mit offenen Karten und sprach mit meinem Arbeitgeber. 

Eva Maria Tappe schafft es, trotz ihrer Diagnose Morbus Crohn ein zufriedenes Leben zu führen.

Diese Offenheit dem Arbeitgeber gegenüber war sicherlich kein leichter Schritt. Wie reagierte er?

Meine Offenheit zahlte sich aus: Er war zum Glück sehr verständnisvoll und gab mir dir Möglichkeit, meinen Einsatzbereich zu verändern und Stunden zu reduzieren. Im Anschluss saugte ich alle Informationen zu CED auf, die ich finden konnte. Ich wollte wissen, welche Therapiemöglichkeiten es gibt, wie ich mich ernähren soll und was ich sonst noch tun kann. Ich wollte einfach trotzdem glücklich sein! Damals gab es noch nicht so ein breites Angebot im Internet zum Thema und es war nicht leicht, die richtigen Informationen herauszufiltern. 

Was hat Ihnen letztendlich geholfen?

Da spielten verschiedene Pfeiler eine Rolle. Zunächst einmal die Akzeptanz der Erkrankung, im nächsten Schritt sie zu verstehen und dann die der offene Umgang Freunden und Kollegen gegenüber im Umgang mit der Krankheit. Außerdem die Reduktion meiner Arbeitszeit, denn so kann ich an den Nachmittagen und am Wochenende Kraft tanken. 

Wichtig für mein Wohlergehen ist es auch das Thema Achtsamkeit, d.h. in mich hineinzuhören, zu schauen, was mir guttut, Körpersignale wahrzunehmen und so zu erkennen, wann ein Schub kommt. Gleichzeitig sich nicht zu viel abzuverlangen, sondern auch zu akzeptieren, dass man Pausen braucht – denn auch das bedeutet Stärke. Und, ganz wichtig: Trotzdem nicht zu ängstlich zu werden, denn macht man sich zu viel Stress, zieht der Körper häufig nach. 

Es war bei Ihnen ein Weg von sieben Jahren, bis die Diagnose Morbus Crohn gestellt wurde. Wo hätten Sie sich mehr Hilfestellung gewünscht?

Ich hätte mir mehr Unterstützung gewünscht nach der Diagnosestellung. Ich musste mir ziemlich viel selbst aneignen und habe darunter gelitten. Den Ärzten fehlte oft einfach die Zeit und manchen leider auch die Einfühlsamkeit. Die Arzt-Patienten-Beziehung und gemeinsam Therapieschritte zu besprechen, spielt meiner Meinung nach eine wichtige Rolle. Mittlerweile habe ich einen Arzt gefunden, von dem ich mich verstanden und ernst genommen fühle. Es hätte mir auch geholfen, wenn mir eine Stelle genannt worden wäre, an die ich mich wenden kann. Auch hätte ich mir mehr Verständnis von der Gesellschaft gewünscht. Die Öffentlichkeit ist leider noch nicht flächendeckend sensibilisiert – zum einen, was „jüngere“ chronisch Erkrankte angeht, zum anderen, was den Umgang mit Darmerkrankungen und „unsichtbaren Erkrankungen“ angeht.

Wie geht es Ihnen heute, psychisch und physisch? Wie sieht Ihr Leben aus?

Durch meine Therapie und Eigeninitiative wurden die Ausschläge nach und nach immer weniger heftig, die Zeitabstände zwischen den Schüben länger. Und mit der Zeit konnte ich immer besser unterscheiden zwischen kleineren Bauchzickereien und ernstzunehmenden Symptomverschlechterungen. Natürlich hat sich vieles verändert, Freundschaften sind zerbrochen und meine sportliche Leistungsfähigkeit ist bei weitem nicht mehr so gut wie früher. Dennoch würde ich sagen, dass ich heute glücklicher bin. 

Sie sind heute glücklicher, als vor der Diagnose?

Nun, ich hätte jetzt ewig darauf achten können, dass ich meine Pläne nicht umsetzen konnte. Doch das hätte mich unglücklich gemacht. Ein Perspektivwechsel tut da sehr gut. Natürlich hat man gerade als CEDler Tage, an denen es einem psychisch und physisch nicht gut geht. Aber ich finde es ist sehr wichtig, dass auch, wenn uns eine oder mehrere Sachen zu unserem vollkommenen Glück fehlen, uns dies nicht davon abhält, alles andere zu genießen! Heute reflektiere ich Dinge, schätze und genieße sie. Ich feiere die schönen Momente und stark zu sein und vor allem stehe ich zu mir und dem, was mir guttut. Das heißt jetzt aber nicht, dass ich mir keine Ziele mehr setze. Ich interpretiere Glück nur anders.

2017 haben Sie den Verein CHRONISCH GLÜCKLICH e.V. gegründet. Warum?

Nach meiner Diagnosestellung wollte ich Erlebtes verarbeiten, aber vor allem auch andere Betroffene ermutigen. Deshalb fing ich an, den Blog evalescam zu schreiben. Im Lateinischen bedeutet das so viel wie ‚Ich werde stark sein‘. Ich bekam viele positive Rückmeldungen und merkte, dass sich Betroffene – wie auch ich damals – häufig allein gelassen fühlen. Deshalb gründete ich CHRONISCH GLÜCKLICH. Der Verein unterstützt Menschen mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa dabei, die eigene Krankheit anzunehmen und einen neuen Alltag mit mehr Lebensqualität zu finden. Außerdem möchten wir in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit auf das Thema CED bringen. Eine CED-Erkrankung ist bei weitem kein Einzelfall und es sollte sich niemand für diese Diagnose schämen oder erklären müssen!

Wie genau unterstützen Sie Betroffene von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa?

Die Angebote und Projekte von CHRONISCH GLÜCKLICH e. V. sind vielfältig: Individuelles Coaching, Podcast, Blog, Informationsveranstaltungen, ein Ratgeber-Buch und Motivationskampagnen in den sozialen Medien zählen dazu. Zentral bei allen Aktivitäten ist der Netzwerkgedanke – Betroffene zusammenzubringen, den Austausch zu fördern und neue Inspiration und Motivation zu geben, um das Leben mit der CED anzupacken. Mit Erfolg, denn das CHRONISCH GLÜCKLICH-Team und unser Bauchfreunde-Netzwerk wächst stetig: Aus meiner One-Woman-Show ist mittlerweile ein passioniertes 13-köpfiges Team geworden, unser Podcast wurde schon über 43.000 Mal gehört und auf Instagram haben wir mehrere Tausende Follower.

Neben der richtigen medizinischen Versorgung spielt für das eigene Wohlbefinden beim Leben mit einer CED auch die Psyche eine Rolle.

Die Arbeit im Verein ist sehr zeitintensiv. Was motiviert Sie dazu, dranzubleiben?

Es macht mich glücklich, wenn ich merke, dass ich Betroffenen dabei helfen kann, trotz CED ein glückliches Leben zu führen. Auf einem Workshop hat mal eine junge Frau zu mir gesagt, dass die Arbeit mit CHRONISCH GLÜCKLICH sie dazu bewegt hat, wieder aufzustehen, an sich selbst zu glauben und wieder am Leben teilzunehmen – ich finde es gibt keine schönere Anerkennung für sein eigenes Engagement.

Frau Tappe, abschließend: Welche Tipps haben Sie für Menschen, die von der Diagnose CED betroffen sind?

Kurz und knapp: Informiert und vernetzt euch und holt euch Unterstützung! Leitfäden, Apps und der Austausch mit CEDlern und Experten können sehr hilfreich sein. Erinnerungen im Handy an die Medikamente oder eine Toilettenfinder-App können helfen, den Alltag entspannter zu gestalten. Außerdem ist Selbstfürsorge ein wichtiges Stichwort: Hört in euch hinein und darauf, was euch guttut. Und vor allem: Bleibt positiv! Ein glückliches Leben ist trotz CED möglich. 

Über Eva Maria Tappe

Eva Maria Tappe bekam 2012 nach sieben Jahren Ärztemarathon die Diagnose Morbus Crohn. Um Betroffene mit der Diagnose CED zu vernetzen und ihre Lebensqualität zu steigern, gründete sie 2017 den Verein CHRONISCH GLÜCKLICH e.V.. Die 35-jährige ehemalige Unternehmensberaterin arbeitet heute in einer Stiftung und lebt mit ihrem Mann und Beagle in ihrem Heimatort Hagen.

Lektüre für Betroffene

Auf humorvolle und einfühlsame Art schildert Kirsten Schneider in diesem Ratgeber ihren Weg in ein Leben mit der Diagnose CED und gibt Betroffenen Tipps. „Ach du Scheiße! Ich hab‘ einen chronisch-entzündlichen Darm“. Erhältlich über den CHRONISCH GLÜCKLICH Shop. UVP 17,90 €, ISBN 978-3-00-063376-8

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